„The Story of House“ von Stuart Cosgrove



Die Entstehungsgeschichte der House Musik. [Teil 1]
Stuart Cosgrove’s Bericht im Booklet der „The History of House Sound of Chicago“ BCM-Box.

The History of House Sound of Chicago, BCM-Box

Versuch der deutschen Übersetzung des Original Textes.
mehr Infos zum Autor siehe unten

Teil 1 von 3

Über die Roots der House Musik und dem ersten internationalen Erfolg


House ist so neu wie der Mikrochip und so alt wie die Berge.
Die breite Aufmerksamkeit begann im Sommer 1986 als eine Reihe von Platten als Direkt-Importe aus Chicago die Playlist der einflussreichsten europäischen DJs dominierte.
Binnen einiger Monate und ohne die Unterstützung durch das Radio hat Englands (Großbritanniens) Club Szene mit den Füssen abgestimmt.

Drei House Platten drängten dabei in die Top Ten Charts:

und gaben hierbei der Club-Szene ein neues Schlagwort:

Jacking

Der Begriff ‚Jacking‘ kommt aus Chicago und beschreibt das rasante Tanz Tempo der House Musik.
Die Verwendung von ‚Jack‘-Begriffen zieht sich durch die Musik Szene.

Jack Beispiele
  • Bad Boys Bill – Jack it all Night Long
  • Femme Fion – Jack the House
  • Chip E. – Time to Jack
  • Julian’s Sado-Maso Disco Hit:
    Julian ‚Jumpin‘ Perez – Jack me till I scream

The Warehouse

Frankie Knuckles NWP
Frankie Knuckles

„House Music“ hat den Namen erhalten durch einen alten Chicagoer Nacht Club namens „The Warehouse“, in dem der Resident DJ Frankie Knuckles alte Disko Klassiker, neuen Eurobeat Pop und Synth-Beats mixte zu einer rasanten High-Energy Fusion von recycleten Soul.

Frankie ist mehr als ein D.J., er ist ein Sound-Architekt, der die Kunst des Mixing auf ein neues Niveau brachte.

Auf dem Höhepunkt der Nacht habe ich alle Lichter ausgeschaltet.
Die Fenster im ‚The Warehouse‘ waren schwarz angestrichen, die Menge war high von der Musik und von Drogen.
Ich habe den Bass hochgefahren und spielte dann diese Aufnahme – den Soundtrack eines Express Zuges.
Die Leute schrien – es war eine Mischung aus Ekstase und Angst – es hörte sich an als ob ein Zug durch den Club rast.

Frankie Knuckles

Kenner des Warehouse haben den Club als die stimmungsvollste Location in Chicago in Erinnerung, den wegweisenden Dreh- & Angelpunkt der aufkeimenden Dance Music Szene, wo alte Philly Klassiker (Harold Melvin, Billy Paul, The O-Jays) gemixt wurden mit fortschrittlichen Disco Hits wie „Disco Circus“ von Martin Circus und importierter europäischer Pop Musik von Synthesizer Gruppen wie Kraftwerk und Telex.

Ein Stammgast des Clubs war ein mysteriöser junger schwarzer Teenager der sich stylte wie der exzentrische Funk Star George Clinton.
Er nannte sich selber Professor Funk, kleidete sich sehr auffallend und blieb die ganze Nacht im Warehouse bis die allerletzte Platte in Frankie’s Box verschwand.
Professor Funk ist inzwischen ein Musikkünstler.
Er erscheint auf der Bühne in voller Montur eines altertümlichen englischen Königs und singt bizarre acidlastige House Songs wie „Work your Body“ und „Visions“. Der Professor glaubt, dass der Reiz von House Musik zurückgeführt werden kann zu der Kreativität vom „Warehouse“.

Es war ein Lagerhaus – ein komplett verrücktes. Drei Räume voll mit Tänzern ausgezogen bis zur Hüfte, in Zebra-Outfits, mit völlig ausgefallenen bescheuerten Brillen.
Gespielt wurde elektronische Musik.
Ich blieb dort bis Sonntag Nachmittag. Ich erinnere mich immer daran als Kirche derer, die in Ungnade gefallen sind.

Professor Funk
Professor Funk (Armon Ransom)
Professor Funk (Armon Ransom)

Die Rückbesinnung des Professors beinhaltet eine versteckte Wahrheit. Der minimalistische Beat des Chicago House, ein gnadenloser Sound kreiert um die Tänzer in Extase zu versetzen, hat seinen Ursprung in der Gospel Musik und seine Zukunft in der „Spaced out simulation“ (Techno).

Disco Einfluss

Mitte der 70er, als Disko noch ein Untergrund Phänomen war, wurden ‚Sin & Salvation‘ (Sünde und Erlösung) vorsätzlich zusammengemixt, um einen neuen Sound zu kreieren, welcher sich irgendwie zu etwas minimalistischen und andächtigen entwickelte.

Disko Labels: Prelude Rec., Westend,  T.K. Disco, Salsoul Records
Disko Labels: Prelude Rec. | Westend | T.K. Disco | Salsoul Records

New Yorker Disko Labels wie Prelude, West End, TK-Disco und Salsoul haben buchstäblich eine bahnbrechende Form von ‚Orgasmic Gospel‘ geschaffen, welche die mitreissenden Streicher-Sounds der Philadelphia Dance Musik vereinte mit den „gequälten“ Vocals von Soul Sängern wie Loleatta Holloway.

Ihre bekanntesten Veröffentlichungen „Love Sensation“ und „Hit and Run“ wurden zum Arbeitsmodell moderner House Songs.

Loleatta Holloway
Loleatta Holloway

Nach einer ereignisreichen Karriere, angefangen in Atlanta und im südlichen Gospel Bezirk, ging Loleatta während der Hochphase des Disco Booms der Großstädte zu Salsoul Records, bevor sie zu Ihrer Heimat Chicago zurückkehrte.

Laut Frankie Knuckles ist House kein Bruch mit der schwarzen Musik der Vergangenheit, sondern eine extreme Neuerfindung der Dance-Music von gestern. Für ihn hat House Music eine sehr klare Tradition, eine Art doppelte Liebesbeziehung mit New York als Stadt und dem Disco-Sound. Wenn er seine Lieblingsplatten aufzählen müsste, wäre dies ein Handbuch für Diskotheken.
Playlist

Playlist
  • Colonel Abrams – Trapped
  • Sharon Redd – Can you handle it
  • dem frenetischen Sound von
    Fat Larry’s Band – Act like you know
  • dem gemeinschaftlichen Vergnügen von
    Positive Force – You got the Funk
  • dem schlüpfrig frechen
    Jimmy Bo Horn – Spank
  • und der kreativen Unversehrtheit von
    D.Train – You’re the one

siehe:

Vor allem jedoch mag er den Sound, der Kirche und Dancefloor zusammenwirft mit absichtlicher Missachtung von religiösem Eigentum.

Die inspirierenden Klassiker der alten Disco Szene, all die übertriebenen Gospel Vocals, sie alle bilden immer noch den größten Einfluss auf die Art wie wir mixen und produzieren.
Diese alten Disco Songs sind die Grundlage der House Musik.

Frankie Knuckles

Walter Gibbons

Religion schlängelt sich durch den House-Sound auf Wegen, die die Ungläubigen verwirren würden. Die meisten Chicago DJs geben der Untergrund-Club-Szene der 70’er in New York Schuld und besonders dem Original-Disco-Mixer Walter Gibbons, einem weißen DJ, der Grundtechniken des Disco-Mixing populär machte, dann zu Salsoul Records graduierte, wo er ansonsten unauffällige Dance Platten zu imposanten Sound-Skulpturen machte.

Gibbons ebnete den Weg für die historische Veränderung der DJs von den Twin-Decks zum Produktionstudio. Aber paradoxerweise auf dem Höhepunkt seines Kultstatus driftete er weg von der brodelnden Disco, um ein „Born Again Christian“ (wiedergeborener Christ) zu werden.
Er hat eine Raum geschaffen, der letztendlich gefüllt wurde mit den nachfolgenden DJ Produzenten wie Jellybean Benitez, Shep Pettibone, Larry Levan, Arthur Baker, Francois Kervorkian, The Latin Rascals, und Farley „Jackmaster“ Funk.

Walter Gibbons
Walter Gibbons

Die meisten glaubten, dass Walter Gibbons eine verblassende Legende in der frühen Disco-Geschichte sein würde, 1984 tauchte er dann aber wieder auf und hatte einen neuen und sofortigen Einfluss auf die Entwicklung des Chicago House Sounds.
Gibbons veröffentlichte eine eigenständige 12″ Platte mit dem Namen „Set It Off“, die sogleich aufsehen erregte in der Paradise Garage, einem schwarzen Schwulen-Club in New York, in dem Larry Levan Herrscher der Plattenteller war.
Innerhalb von Wochen verbreitete sich ein „Set It Off“-Hype in der Club-Szene, inkl. neuer Versionen von C. Sharp, Masquerade und der Antwort-Version von Import #1’s „Set It Off (Party Rock)“.

Set if Off, Mixed with Love by Walter Gibbons

Die Originalplatte wurde „mit Liebe von Walter Gibbons gemixt“ veröffentlicht vom Jus Born Label, einem Wortspiel bezogen auf Walters christlichen Glauben.
Gibbons hat wieder mal den Ton angegeben – der Sound von „Set It Off“ war primitiver House, treibende, sich wiederholende Beats, die ideal zum Mixen und Ausbauen waren. Es wurde sofort zu einer Underground Club Hymne, die ihr zu Hause in Chicago fand, wo eine ganze Generation von DJs inklusive Farley und Frankie Knuckles die Clubs rockten und regelmäßig bei lokalen Radiosendern spielten.

Mixen ist eine Religion

Für die bedeutendsten House Stars wie Frankie Knuckles ist der DJ Arbeitsplatz eine Kanzel und der DJ der hohe Priester. Die Tänzer sind eine fanatische Gemeinde, die bis zum Morgengrauen tanzen will und manchmal verlangt, dass die Musik non stop über 18 Stunden laufen soll.
Mixen ist eine Religion.
Alte Platten wie First Choice’s „Let No Man Put Asunder“ und Candido’s „Jingo“, Shirley Lites „Heat You Up (Melt You Down)“, Euro-Beat von Depeche Mode, Human League, BEF, Telex, und New Order, die Stimme von Martin Luther King, und die Soundeffekte von Hochgeschwindigkeitszügen wurden alle benutzt, als Frankie Knuckles die Plattenteller beherrschte.

Und der hohe Priester des House hatte viele Jünger. Im Süden von Chicago war ein junger Teenager namens Tyree Cooper fasziniert davon, wie Frankie die Rede von Martin Luther King verwendete.
Er durchsuchte die Plattensammlung seiner Mutter und entdeckte eine Platte eines ortsansässigen Predigers, Pastor T.L. Barrett Jr., dessen Chor der Chicago Church of Universal Awareness der Stolz der Stadt war.

Video Pastor T.L. Barrett jr
Tyree Cooper
Tyree Cooper


Tyree fing an, die Platte auf lokalen House Parties zu benutzen und innerhalb weniger Monate wurde das Predigen-Mixen – eine Art Zusammenfügen kurzer Gospel-Reden mit wilder Dance Music – zum festen Bestandteil der Chicagoer DJ-Kunst.

Damit nicht genug. Tyree Cooper ging zu DJ International Records, brachte so dann „I Fear The Night“ heraus, ging zurück zur Kirche seiner Mutter und der Chor fing an sich über einen ihren Sänger zu freuen, Darryl Pandy.

Darryl Pandy
Darryl Pandy

Der großartige ausgebildete Sänger prahlte mit seiner neuen Platte. Er hatte den Chor einige Wochen zuvor verlassen, um Lead-Sänger bei Farley Jackmaster Funk’s „Love can’t turn around“ zu werden, was entgegen aller Erwartungen auf Platz 1 in den britischen Charts schoss.
House hat seine Wurzeln im Gospel und seine Zukunft lag ausgebreitet.


weiterlesen:
über Labels, Detroit, Acid, Drogen und Pop.


Die Chicago House Box von BCM

Der Text wurde ca. 1987 von Stuart Cosgrove für die 12 LP Box „The History Of The House Sound Of Chicago“ geschrieben. 1989 erschien der Sampler als erweiterte 12+3 CD Box.
Für diese Ausgabe wurde das Booklet ergänzt um Acid House und den Pop Einfluss.
Der Text hier basiert auf der erweiterten Ausgabe.
Beide Boxen wurden in Deutschland von BCM Records veröffentlicht.
[Zur BCM Box]


über den Autor

Stuart Cosgrove, geboren am 12.11.1952 in Schottland, ist einer der meistgeschätzten britischen Journalisten für Black Music.
Er hat für „The Observer“, „City Limits“, „Black Echoes“ und „NME“ geschrieben.

mehr Infos siehe Wikipedia

Stuart Cosgrove
Stuart Cosgrove

zu dem englischsprachigen Original Booklet

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